BUND-Kreisgruppe Münster

Konzerne versus Demokratie und Rechtsstaat: Das Wichtigste zu TTIP, CETA und TiSA

23. Dezember 2014 | Nachhaltigkeit, Chemie, Klimaschutz

Im Geheimen verhandeln die EU und die USA über Handelsabkommen. Bekanntgewordene Inhalte führen zu immer stärkeren Protesten. Die wichtigsten Informationen und die Position des BUND finden sich hier.

Worum geht es?

Derzeit werden drei Abkommen verhandelt, wobei die Verhandlungsstände unterschiedlich sind:

1. Zwischen der EU und Kanada ist weitgehend ausverhandelt das Handelsabkommen CETA = Comprehensive Economic and Trade Agreement. Es gilt als „Blaupause“ für TTIP.

2. Noch im Verhandlungsstadium zwischen der EU und den USA befindet sich das TTIP (sprich: "Tieh-Tipp"; Transatlantic Trade and Investment Partnership, auch: Freihandelsabkommen).

3. Dann gibt es noch die Verhandlungen zwischen der EU, USA, Kanada, Australien und weiteren Staaten über TiSA (Trade in Services Agreement = Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen).Gegenstände sind: Finanzdienstleistungen(Bankwesen), die öffentliche Daseinsvorsorge, Gesundheit, BildungundEnergiewirtschaft.

Das sog. Freihandelsabkommen TTIP

Wesentliche Inhaltevon TTIPsollen sein: Ein weiterer Abbau von Handelsbeschränkungen,die Einführung einheitlicher Industriestandards, die Förderung von Investitionen und deren Absicherung durch Schiedsgerichte, Mitsprache der Industrie beim Erlass von Gesetzen (regulatorische Mitwirkung).

Hier geht's nicht um's Gemeinwohl, sondern um den Profit

Dass hierbei nicht das Gemeinwohl befördert werden soll, darauf deuten schon die Umstände hin: Verhandlungsmandat und Verhandlungen waren geheim (inzwischen sind Teile des Abkommens bekannt geworden); 600 Konzernvertreter und Wirtschaftslobbyisten (als „Fachleute“) haben Zugang zu Informationen und nehmen Einfluss.Eine öffentliche Diskussion ist unerwünscht. Eine europäische Bürgerinitiative mit mehr als einer Million Unterschriften wurde von der EU-Kommission für unzulässig erklärt. Die Abkommen können in den parlamentarischen Gremien nicht mehr verändert, sondern nur noch insgesamt gebilligt oder abgelehnt werden.

Kritische Würdigung: Absenken von Standards, Investorklagen und ein „Rat für Regulierung“

Was den Abbau von „tarifären Handelsbeschränkungen“ = Zöllen betrifft, braucht es kein großes Abkommen. Zollsenkungen sind durch einfache Abkommen und ihre Umsetzung möglich. Allerdings ist zu bedenken, dass es auch Zölle zum Schutz wichtiger Wirtschaftszweige gibt und dass bei deren Wegfall auch der Schutz entfällt.

Bei der weitaus bedeutsameren Beseitigung „nichttarifärer Handelsbeschränkungen“ ist mit Sicherheit zu erwarten, dass sowohl die USA als auch die EU weitgehend auf bisher bei ihnen geltende Anforderungen (Standards) verzichtenwird und Standards ausreichen lässt, die im Ursprungsland der Produkte gelten. Dann wird die EU beispielsweise die Einfuhr von Lebensmittelnmit gentechnisch veränderten Organismen und vonHormonfleisch, weil diesein den USA zulässig sind, akzeptieren. Es wird nicht mehr möglich sein, die Einfuhr und den Vertrieb von Importwaren zu untersagen, diein besonders umweltschädlicher Weise hergestellt werden oder bei deren Herstellung Arbeiter ausgebeutet werden. Das in Deutschland bewährte Prinzip, bereits gegen Risiken Vorsorge zu treffen (Vorsorgeprinzip), würde durch das in den USA geltende Prinzip, wonach nur erwiesene Schäden zu Beschränkungen ermächtigen, verdrängt. Auch wäre beispielsweise ein Fracking-Verbot gegenüber einer US-Firma nicht mehr durchsetzbar.

Die größten Bedenken bestehengegendie Möglichkeit, dass ein ausländischer Investoreinen Staat vor einem privaten Schiedsgericht verklagen und Schadensersatz wegen entgangener Profiteverlangen kann (ISDS = Investor-State Dispute Settlement). Laut CETA ist Voraussetzung für eine solche Klage lediglich, dasslegitime Erwartungen des Investors enttäuscht werden; von den berechtigten Interessen des betroffenen Staates und dessen Bevölkerung ist nicht die Rede. Da auf bestimmten Gebieten solche Vereinbarungen schon gelten, gibt es auch schon zahlreiche Beispiele(bis Ende 2013 wurden 568 Klagenbekannt). Diebekanntesten sind die Klage von Vattenfall gegen Deutschland auf Zahlung von 3,7 Milliarden Dollar wegen des Atomausstiegs (RWE und E.on haben als deutsche Gesellschaften eine solche Klagemöglichkeit nicht) und die Klagenvon Philip Morris gegen verschiedene Staaten wegen Maßnahmen gegen das Rauchen(gegen Uruguay auf zwei Milliarden Dollar). In einem anderen Fall musste die philippinische Regierung für ihre Verteidigung gegen eine Klage des deutschen Flughafenbetreibers Fraport eine Prozesskostensumme aufwenden, für die sie 12.500 Lehrer ein Jahr hätte beschäftigen oder 3,8 Millionen Kinder gegen gefährliche Krankheiten hätte impfen lassen können.

Dass sich ein Staat vor einem in einem Hotel tagenden privaten Tribunalfür Gesetze zum Schutz seiner Bevölkerung verantworten muss und gegen eine Verurteilung keine Überprüfungsmöglichkeit vor einem staatlichen Gericht hat, halten wir für einen skandalösen Verstoß gegen die Demokratie und den Rechtsstaat (Heribert Prantl in der SZ: „Ein heimlicher Staatstreich“).Es ist zu befürchten, dassbereits die Drohung mitnachteiligen Konsequenzenden Staat vonGesetzen zum Schutz seiner Bevölkerung abhalten könnte(sog. regulatory chill), was zu einem massivenVerlust der demokratischen Gestaltungsmöglichkeitenführt.Im übrigen sind „Investoren“ nicht etwa Menschen, die ihre Arbeitskraft und ihr Geld für nützliche Produkte und Leistungen einsetzen, vielmehr sind das ganz überwiegend Fonds (Private Equity, Hedgefonds), die Geld einsammeln (Blackrock: 4 Billionen Dollar), sich in Firmen einkaufen und durch einen aggressiven Kapitalismus das Kapital vermehren, also Geld aus Geld machenwollen.

Mit nachträglichen Schadensersatzzahlungensind die Konzerne nicht zufrieden. Denn es soll ein „Rat für Regulierung“eingerichtet werden, in dem die Industrie geplante Gesetze, die für sie finanziell nachteilig sind, bereits im Vorfeld ablehnen kann.

Bei TiSA drohen den Bürgern unmittelbare Leistungsverschlechterungen

Beim TiSA-Abkommen drohen Nachteile für die kommunale Daseinsvorsorge. In den 80iger-und 90iger Jahren haben viele Kommunen ihre Leistungen privatisiert. So hat Paris seine Wasserversorgung an die Konzerne Veolia und Suez verkauft. Als aber der Wasserpreis um mehr als 200 % stieg, hat die Stadt die Wasserversorgung wieder zurückerworben. Ähnlich ist es in Berlin gelaufen. Viele deutschen Städte rekommunalisieren derzeit ihre Stromversorgung. Mit TiSA wirddasnicht mehr möglichsein, weil danach Privatisierungen niemalsrückgängig gemacht werdendürfen.DurchTiSA besonders gefährdet ist das öffentliche Gesundheitswesen, weil private Konzerne an der Zwangslage Kranker viel verdienen können.

Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum?

Wenn die Befürworter der Abkommen neue Arbeitsplätze versprechen, dürfte das nicht zutreffen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass beim Einstieg ausländischer Kapitalgeber eher Arbeitsplätze wegfallenals dass neue entstehen. Insbesondere die noch vorhandene bäuerliche Landwirtschaft in Europa wird durch die US-Lebensmittelkonzerne und ihre große Marktmacht -der größte Schweineproduzent der Welt, die Smithfield Foods/USA,schlachtet täglich mehr als 100.000 Schweine -weiter verdrängt wird. Wenn durch die Abkommen Wirtschaftswachstum versprochen wird, halten wirdem entgegen: Wir wollen kein weiteres Wirtschaftswachstum verbunden mit Klima-und Umweltschäden, Ressourcenverbrauch und Verkehrssteigerungen. Wirtschaftswissenschaftler und Politiker müssen vielmehr lernen, wie auch ohne ständiges Wachstum die Existenzmöglichst aller Menschen gesichert und durch ein wachstumsunabhängiges Wohlstandsmodell das Wohlergehen möglichst vieler befördert werden kann.

Was steht an und was wird getan?

In den kommenden Jahren ist über die Abkommen in den Parlamenten der EU und der EU-Mitgliedstaaten zu entscheiden. Der BUND hat sich gegen die Ratifizierung ausgesprochen: in einer BUND-Position „Das Gemeinwohl ist nicht ver(frei)handelbar“, in einem Beschluss der Bundes-Delegiertenversammlung 2014, und hat sich mit 324 Verbänden, darunter großenGewerkschaften, zu einem Anti-TTIP-Bündnis zusammen geschlossen.Die BUND-Kreisgruppe Münster hat sich schon frühzeitig, auf ihrer Mitgliederversammlung im Februar 2014 mit dem Thema befasst. Zweimal haben wir in Münster gegen TTIPdemonstriert, das letzte Mal am 13. 12. mit fast1.000 Teilnehmern. In Münster gibt es ein Bündnis „Münster gegen TTIP“ (www.muenster-gegen-ttip.de). Die große Demo am 17. Januar 2015 in Berlin wird sich nicht nur gegen die industrielle Landwirtschaft, sondern auch gegen TTIP richten.Denn: „Transatlantische Partnerschaft geht anders“.

(Dieter Schmalz)

Zur Übersicht